Weihnachtsgeschichte

Simons Lichtmess

Wunderbare Weihnachtsgeschichte

Hier abgedruckt, weil das Büchlein leider vergriffen ist:
Wie das Licht in die Welt kam, ISBN: 3886712605. Antiquarisch bei Amazon noch erhältlich.

Es war an einem Freitagabend, nach dem Jugendgottesdienst. Ich stand auf dem Kirchplatz, im Lärm und Gestank der Töffli, als plötzlich neben mir ein Auto hielt, Ein junges Paar sass darin, er hatte einen Schnauz, sie hielt ein Kind. Er drehte die Scheibe hinunter.
„Sind Sie der Pfarrer?“
„Ja“, sagte ich, gefasst auf eine Klage wegen der Töffli.
„Ist das die Kirche?“ – „Ja.“
„Reformiert?“ – „Ja.“
„Das ist gut. Wir möchten taufen.“
„Gern“, sagte ich. Ich zeigte ihnen einen Platz fürs Auto, Toyota, eine Occasion. Wir gingen hinein, ins Büro, wo wir uns setzten. Ich zog ein Formular aus der Schublade.
„Wann denn?“ – „ Am Sonntag.“
„Übermorgen?“ Sie nickten.
„Ihr kommt im letzten Moment“, sagte ich und notierte:
2. Februar, daneben am Rand: Organist, Tauflied. „Übermorgen also, halb zehn.“
„Ja, kann man nicht später?“
„Nein. Der Gottesdienst beginnt um halb zehn.“
„Bitte“, bat sie. „Seine Eltern kommen aus dem Elsass, der Götti aus Besancon…“
Ich schüttelte den Kopf. „Es geht nicht, leider.“
„Bei uns geht es“, sagte er.
„Es muss aber reformiert sein“, sagte sie, „wegen meiner Eltern…“
„ Tut mir leid“, sagte ich.
Sie sahen sich an, achselzuckend. „Dann halt halb zehn.“
Ja, ich hatte ein Vorurteil. Dieser Schnauz. Sie waren zugezogen vor einem Jahr in eine Wohnung. Das Kind musste getauft sein, wer weiss warum…Ein herziges Kind.
„Ein Mädchen’“
„Ein Bub.“
„Adamo.“ Auch das noch.
„Fast biblisch“, sagte ich. „Wie kommt ihr dazu?“
„Er singt so schön.“
„Wer? – Er?“
Sie lachten: „ Adamo, der Sänger.“
Ein Sänger also… Nicht der schlechteste, erfuhr ich später.
Dann begann ich sie zu belehren, ausführlich. Die Taufe. Die Taufe gehört in den Gottesdienst. Das ist ihr Sinn. Aufnahme in die Gemeinde. Ein Zeichen, kein Sakrament…
Se nickten, eifrig. Es war ihnen recht so. „Dann also am Sonntag. Um zwanzig nach neun erwarte ich euch“ – ich zeigte zur Kirche hinüber – „in der Sakristei, mit Gotte und Götti. Die andern Taufgäste gehen gleich in die Kirche. In der ersten Reihe ist für sie reserviert.“ Ich stand auf und streckte ihnen die Hand hin. „ Auf Wiedersehen, am Sonntag.“

Es war fünf vor halb, als sie endlich kamen, hastig und unvollständig. „Wo ist der Götti?“ fragte ich. „Eben“, sagte sie. „Ein Stau vielleicht“, sagte er, aber sie lachte: „Der kann nie pünktlich sein.“
Ich orientierte den Sigristen: „Der Götti fehlt noch“ und liess die Tür offen. So sah man hinaus ins Foyer.
„Wenn er nicht mehr kommt…?“ fragten sie ängstlich. „Dann sollte ihn jemand vertreten. Jemand aus der Familie am besten…“ Sie sahen sich an, schüttelten die Köpfe. „Wir sind nicht viele…, viele Frauen… Mein Bruder war enttäuscht, weil wir seinen Bruder…“ Da ging draussen gerade Simon vorbei, pünktlich wie jeden Sonntag, aufrecht mit seinen achtzig Jahren. Simon? Warum nicht? Es war höchste Zeit. „Simon“, rief ich, „bitte komm schnell herein! – Eine Bitte: Könntest du den Götti vertreten? Ich zeigte auf Adamo. „Ich?“ „Ja bitte.“ Ich erklärte rasch alles. „Es ist dringend. Bitte.“ Er nickte, hatte verstanden, und ich stellte ihn vor, kurz: „Simon Huber, unser treuer…“, fast hätte ich „Knecht“ gesagt. Simon war Gemeindearbeiter gewesen. „fünfzig Jahre treu und hilfsbereit“, stand auf der silbernen Uhr, die er trug am silbernen Kettchen. Er wohnte im alten Gemeindestall, oben, in der ehemaligen Knechtswohnung. Einmal war ich bei ihm gewesen. Ein kleiner Eisenofen strahlte Hitze aus, doch von unten, wo jetzt Geräte lagerten, drang die Kälte herauf. Sein Gehör liess zu wünschen übrig. Nein, an den Alternachmittag kommt er nicht. Ergeht in die Predigt. Ob er mich hören kann, fragte ich. – Darum sitzt er vorn. Nein, einen Hörapparat braucht er nicht. – Ich hatte das Gefühl, er war froh, als ich ging, mit eiskalten Füssen. Simon vertrat den Götti, im letzten Moment. Die Glocken verstummten, die Orgel begann zu spielen, der Sigrist öffnete die Tür, und wir zogen hinein, unter Orgelgebraus, und tauften den schlafenden Adamo. Simons Ja hörte man deutlich. Dann begann ich zu predigen, über Lukas 2,25-35: Simon im Tempel. Und unter der Kanzel sass Simon, sein Namensvetter, und es kam mir nicht in den Sinn.
Als wir hinauszogen, eine Stunde später, stand draussen der Götti, etwas verlegen .Er war in der anderen Kirche gewesen, pünktlich, in der katholischen. Er hatte gewartet und gewartet. Schliesslich, als es dort zum zweiten Mal begann, hatte er den Sigristen gefragt, und der hatte ihn hierher geschickt, und jetzt ist er da. „Hauptsache, du kommst rechtzeitig zum Essen“ , sagte der Vater, „du hattest einen super Ersatzmann. – Simon“, rief er, „Simon!“, und ich sah noch, wie Simon dem Götti die Hand drückte.

Ein halbes Jahr sah ich Adamos Eltern nicht mehr. Dann standen sie unerwartet unter der Haustür, mit Tränen in den Augen. „Er ist gestorben.“ „Wer?“ fragte ich erschrocken und dachte einen Moment langt an Adamo, der nicht dabei war. – „Simon.“ „Simon?“ – Ja, er war nicht da gewesen am Sonntag. Schon länger nicht mehr… „So plötzlich?, stammelte ich. „Ja, ziemlich…“ Sie kamen wegen der Beerdigung, was mich erstaunte. Wir gingen hinein, setzten uns. Ich zog ein Formular aus der Schublade.
„Leider wusste ich nichts. War er krank?“
„Ja …“, sagten sie, „nein. , Eine Kerze, die am Verlöschen ist’, sagte der Arzt.“ „Starb er im Spital?“ „Nein.“ Sie haben ein wenig nach ihm geschaut. Er hatte sonst niemand. Ein Junggeselle. Sie erzählte mir alles, der Reihe nach. Sie hatten ihn zum Essen eingeladen, an jenem Sonntag. „Kam er?“ fragte ich erstaunt. – „Ja. Er freute sich. Er hielt sogar eine Rede.“ - „er gratulierte. Dann sagte er ein Gedicht auf.“ „Ein Gedicht?“ „Ja, dasselbe, das Sie vorgelesen hatten, auf der Kanzel. Er nahm Adamo auf den Arm und sagte es auf.“ „Das ganze? Auswendig…?“ „Ich weiss nicht. Ich glaube… Von einem Knecht… von einem Licht … dass jetzt ruhig sterben kann.“
Nein, sie hielt mir keinen Vortrag. Sie erzählte mir einfach, was geschehen war, ohne Hintergedanken. Die hatte ich selber. „Er kam vorbei nach der Taufe und brachte ein Geschenklein für Adamo, einen ‚Rolli’. Ein paar Tage später kam er wieder und fragte, wie es ihm geht. So bin ich manchmal auch zu ihm gegangen, beim Spatzieren, im Vorbeiweg. Einmal fragte er: ‚Geht ihr in die Breitmatten?’ Als er hörte, dass ich noch nie dort war, zeigte er uns den Weg. Er hatte früher gearbeitet dort. Er kannte jeden Baum, jeden Strauch, Plätze, wo sonst keiner hinkommt. Es ist schön dort. Es hat Tiere. Am meisten freute sich Adamo über die Enten. Simon hatte altes Brot in der Tasche und fütterte sie .Er hatte Namen für alle. Am Sonntag darauf lud er uns ein zu einem Picknick, dann zu einem Süssmost in der Wirtschaft.
Dann wurde er krank. Er kam nicht mehr vorbei, und wir gingen nachsehen. Er lag im Bett, bleich, freute sich, als wir kamen. ‚Es ist soweit’, sagte er. ‚Was denkst du’, riefen wir und telefonierten dem Arzt. Der untersuchte ihn, begann vom Spital, wo man versorgt ist, doch Simon schüttelte den Kopf. Da versprachen wir, nach ihm zu sehen.“ Sie wischte sich eine Träne weg. „Heute morgen ist er nicht mehr aufgewacht.“
„Nun lässest du, Herr, deinen Knecht in Frieden dahingehen…“
„Noch etwas“, saten sie. „Es soll ein Leichenmahl geben. Bitte sagen Sie es. Alle sind eingeladen:“ „Gut, dass ihr daran denkt“, sagte ich. „Das könnte die politische Gemeinde bezahlen, für ihren alten Mitarbeiter. Ich werde…“ „Nein“, widersprachen sie, „nicht die Gemeinde…“ Sie gerieten ins Stocken. „Wir…er…er hat uns ein Sparheft geschenkt, vor vierzehn Tagen. Zehntausend Franken. Wir wollten nicht. Aber er wollte, für Adamo. Und erst noch die silberne Uhr. ‚Nehmt’, sagte er, , es bleibt noch genug.’’’

Es war eine grosse Beerdigung. Vertreter der politischen Gemeinde waren da, vor allem viele Kirchgängerinnen und Kirchgänger. Es gab Kränze und Blumen, eine Geige zur Orgel. Auch ich gab mein Bestes. Dann das Leichenmahl: Die Sonntagsgemeinde an Tischen versammelt, eine grosse Familie, Marcel und Myrta mit Agnes und mir in der Mitte. Seine weiteren Ersparnisse, erfuhr ich später, waren für das unlängst eröffnete Frauenhaus bestimmt, was da und dort ein Kopfschütteln hervorrief.
„Das ist wegen seiner Mutter“, erklärte mir Myrta ein halbes Jahr später, als sie und Marcel wegen der Taufe des zweiten Kindes erschienen. „Sie hatte es schwer.“ Das Kind hiess Simona.

von Huldrych Blanke

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