Schweizer Reformierter Bischof

Hier die Diskussion aus der Zeitschrift Aufbruch:

SEK-Kirchenrat Peter Schmid kritisiert reformierte Kirche:

«Hang zum Klerikalismus»

Einen versteckten Klerikalismus in der reformierten Kirche der Schweiz ortet SEK-Kirchenrat Peter Schmid. Der Baselbieter alt Regierungsrat ist seit zwei Jahren Mitglied des obersten Exekutivgremium des Schweizerisch Evangelischen Kirchenbunds (SEK). Interview von Wolf Südbeck-Baur

aufbruch: Peter Schmid, für Aufsehen und Aufregung sorgte kürzlich die Idee von reformierten Bischöfen für die Schweiz. Diese Idee war von Pfarrer Gottfried Locher, dem heutigen Vize-Präsidenten des Reformierten Weltbundes, lanciert worden Das reformierte Sichtbarkeits- und Wahrnehmbarkeitsdefizit gegenüber der katholischen Dauerpräsenz sollte so gestärkt werden. Wie reagieren Sie?

Peter Schmid: Zunächst, Gottfried Locher hat die Diskussion um reformierte Bischöfe mit grosser Ernsthaftigkeit lanciert. Gottfried Locher hat dabei jedoch zu wenig bedacht, dass in weiten Teilen der reformierten Kirchen der Schweiz das Bischofsamt gar nicht positiv besetzt ist. Das Bischofsbild ist hierzulande stark von der römisch-katholischen Kirche geprägt, im geringeren Ausmass von der christkatholischen und im noch geringeren Ausmass von der evangelisch-methodistischen Kirche. Darum würde ich die Diskussion von einer anderen Seite her aufziehen und fragen: was ist eigentlich der Kern vom Protestantischsein in der Schweiz? Was ist die Grundausstattung dieser Kirchen? Erst wenn wir uns auf einige Eckpfeiler geeinigt haben, stellt sich die Frage, ob es in internationaler und zum Teil auch interkonfessioneller Perspektive Sinn machen könnte, ein Bischofsamt einzuführen.

Demnach wäre für Sie ein reformiertes Bischofsamt keine Frage, die das Wesen der Kirche tangiert, sondern eher von pragmatischer Natur?

Ich erinnere mich an ein Interview des damaligen Bundespräsidenten Pascal Couchepin. Er hat gesagt, es sei auf dem internationalen diplomatischen Parkett bisweilen etwas schwierig für die Schweiz, dass wir keinen Ministerpräsidenten und keinen eigentlichen Staatspräsidenten hätten. Deshalb müsse der Bundespräsident gelegentlich nach aussen Funktionen wahrnehmen, die er nach innen gar nicht habe. In der Bischofsdebatte scheint es mir ähnliche Phänomene zu haben. Zudem werde ich den Verdacht nicht los, dass ein Teil unserer Pfarrer und Pfarrerinnen – Männer sind gefährdeter – einen zu wenig reflektierten Hang zum Klerikalismus hat. Da schlummert die Sehnsucht, es wäre doch schön, mit den Vollmachten eines römisch-katholischen Priesters ausgestattet zu sein.

Das ist eine kühne These, die Sie näher erläutern müssen.

Dieser Klerikalismus nimmt innerhalb der reformierten Kirche deutlich zu, weil wir in unseren reformierten Strukturen eine Abhängigkeit vom Pfarrer haben, die nicht mehr weit von einer absoluten Pfarrersabhängigkeit entfernt ist. Der Grund ist einfach: Bei uns gibt es fast keine verbindlichen Regeln. Solange jeder Pfarrer und jede Pfarrerin dazu neigt, die Kasualien – Taufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigung – so zu gestalten, wie er oder sie will, solange man nicht gewohnt ist, in guter reformierter Tradition danach zu fragen, was die Kirche zusammenhält, haben wir einen versteckten Klerikalismus, der individuell vielleicht gar nicht so gemeint sein muss. Dieser versteckte Klerikalismus muss aber zuerst bereinigt sein, denn sonst wird die Forderung nach einem reformierten Bischof meiner Meinung zu einer gefährlichen Sache, weil dabei nichts Fortschrittliches, sondern nur rückwärts Gewandtes herauskommen kann.

Wenn die Pfarrer in ihrer Kirchgemeinde nicht wie ein kleines Bischöfli auftreten sollen, bleibt die Frage, wie die Identität eines Pfarrers, einer Pfarrerin nach guter reformierter Tradition aussehen soll?

Meine Kritik zielt nicht aufs einzelne Individuum. Das möchte ich klar betonen. Was ich als versteckten Klerikalismus beschreibe, läuft nicht als bewusster Vorgang ab. Meine Argumentationskette ist eine andere: In den evangelisch-reformierten Landeskirchen haben wir zwar kantonale Kirchenordnungen, die verbindliche Formulare für die Art und Weise beinhalten, wie beispielsweise ein Abendmahl oder ein Taufgottesdienst zu gestalten ist. In unserer Tradition fühlen sich aber ein grosser Teil der Pfarrerinnen und Pfarrer nicht so wahnsinnig daran gebunden. Das ist ein schöner Teil reformierter Tradition, die aber Folgen hat.

Welche konkret?

Das hat zur Folge, dass eine Pfarrerin oder ein Pfarrer im wesentlichen entscheidet, welche Elemente, welche Gebete, welche Gottesdienstformen in einer Abendmahlsfeier verwendet werden oder nicht. Das ist die grosse evangelische Freiheit. Und ich sags jetzt noch einmal hemdsärmlig: Indem jeder machen kann, was er will, ist er sein eigener Meister oder seine eigene Meisterin. Das führt durch ein Hintertürchen quasi zu Klerikalismus, weil die staunende Gemeinde sehr oft nicht in die Debatte miteinbezogen ist mit der Folge, dass sie entweder begeistert oder irritiert ist. Das ist eine indirekte Wirkung der reformierten Freiheit, kein individueller Entschluss.

Plädieren Sie für mehr Zentralismus in der reformierten Kirche, für mehr Richtlinienkompetenzen des Kirchenbundes, der verbindlich festlegt, was reformiert ist und was nicht?

Grundsätzlich ja. Allerdings geht’s nicht um eine Zentrale, die sagt, wos lang geht. Ich denke aber, es können durchaus auf synodal-demokratischem Weg einige Formen und Elemente gefunden werden, die Abendmahl, Taufe und Trauung immer als reformiert erkennbar sein lassen. Selbstverständlich können sich diese Elemente im Laufe der Zeit wandeln, sie dürfen aber nicht beliebig oder zufällig gestaltet sein. Diese Sicht habe ich erst, seitdem ich durch mein Mandat beim Kirchenbund gehalten bin, gegenüber anderen Konfessionen und Religionen im internationalen Austausch Auskunft über die evangelische Kirche Schweiz zu geben zur Frage: Wie ist es denn eigentlich bei euch? Wir werden auf eine Art gar nicht mitteilbar, wenn wir die evangelische Freiheit so frei interpretieren, dass sie dem Beliebigen ein wenig zu nah kommt.

Kommen wir zu Ihrem Mandat beim Kirchenbund, das Sie seit 2003 innehaben. Was genau ist Ihre Aufgabe als Ratsmitglied des SEK, dem obersten exekutiven Leitungsgremium der Evangelischen Kirche in der Schweiz?

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund ist von der Rechtsform her ein Verein, zu dessen Vorstand ich gehöre. Weil diese Bezeichnung den Aufgaben nicht ganz gerecht wird, hat man sich vor meiner Zeit dazu entschieden, vom Rat des SEK zu reden. Er unterscheidet sich von anderen Exekutiven dadurch, dass die Ratsmitglieder kein einzelnes Ressort führen. Wir sind im wahrsten Sinn des Wortes eine Kollegialbehörde. Dabei übernimmt jeweils ein Ratsmitglied für ein Geschäft die Verantwortung, das heisst, dieses Ratsmitglied begleitet das Traktandum, bis es abgeschlossen ist. Die anderen Ratsmitglieder fungieren dabei im besten Sinn des Wortes als Beirat.
In dem Zusammenhang war ich Referent für die abschliessende Strukturierung der Geschäftsstelle des SEK. Weiter war ich Referent für das grosse Dokument „Globalance“, das noch vor dem Open Forum und dem Weltwirtschaftsforum in Davos publiziert werden wird. Gemeinsam mit dem Ratspräsidenten, Pfr. Thomas Wipf pflege ich die regelmässigen Kontakte zum Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund.

Sie befürworten einen SEK-Rat mit mehr Richtlinienkompetenz. Ist in diesem Zusammenhang mit einem Vorstoss von Ihnen zu rechnen?

Die Debatte über dieses Thema ist älter als meine Mitwirkung beim Rat des SEK. In dem ich öffentlich darüber spreche, z.B. in diesem Interview, blase ich in die Glut, damit das Feuer der Diskussion weiterhin brennt. Wie bei jeder Grundsatzdebatte braucht es Augenmass und Hartnäckigkeit zugleich.

Das Stichwort „interreligiöser Dialog“ ist heute aktueller denn je. Wo steht der interreligiöse Dialog?

Meine Beurteilung ist folgende: Interessant finde ich, dass durch die Zunahme der muslimischen Bevölkerung in unserem Land und in unserer Region alle Teile der Gesellschaft neu herausgefordert sind. Als politischer Mensch, der in der Verantwortung stand und steht, stelle ich fest: der Islam stellt Fragen, von denen wir dachten, wir hätten sie schon längst geklärt. Plötzlich aber tauchen diese Fragen wieder auf, zum Beispiel: Wie ist eigentlich das Verhältnis zwischen Religion und Staat, zwischen Religionsgemeinschaften und Bildungseinrichtungen. Auffällig und spannend ist, dass diese Fragen sehr schnell grundsätzlich werden, wenn wir entscheiden müssen, wie weit wir zum Beispiel einer muslimischen Familie mit Sonderregelungen entgegen kommen, die ihre Tochter nicht am Schwimm- oder Sportunterricht teilnehmen lassen will.

Wie würden Sie das Verhältnis von Religion und Staat beschreiben?

Ich meine, aus staatlicher Sicht, hat eine Religionsgemeinschaft, die eine gewisse Grösse erreicht – und das hat der Islam - Anspruch auf Religionsfreiheit. Gleichzeitig gilt gegenüber allen Religionsgemeinschaften, dass die Menschenrechte höher zu gewichten sind als die Religionsfreiheit. Ansonsten haben wir zum Beispiel das Problem der Frauenbeschneidung wieder auf dem Tisch. Menschenrechte haben also gegenüber der Religionsfreiheit Vorrang.

Wollen Sie die Religionsfreiheit einschränken?

Aufgepasst, ich bin ein Verfechter der Religionsfreiheit. Zugleich weiss ich aber, dass die absolute Religionsfreiheit die Menschenrechte tangiert. Darum muss beides in der Balance gehalten werden. Dabei plädiere ich für eine hohe Präzision. Denn den Islam gibt es genau so wenig wie das Christentum. Man muss darum genau benennen, welche muslimische respektive christliche Strömung gemeint ist. Aber Innerhalb dieser Präzision muss man ganz klar und kritisch bleiben, wenn man in Teilen des Islams mit einer völlig übersteigerten individualisierten Heilsbotschaft die psychische und physische Energie für Selbstmordattentate bezieht. Das muss benannt und kritisiert werden mit einer Präzision, die nicht alle muslimische Menschen in einen Topf wirft.

Peter Schmid ist seit 2003 Mitglied des Rates des Schweizerisch Evangelischen Krichenbunds SEK. Der diplomierte Sozialarbeiter gehörte von 1989 bis 2003 als Vorsteher der Erziehungs- und Kulturdirektion dem Baselbieter Regierungsrat an. Heute ist der 54-Jährige Ehrendoktor der theologischen Fakultät der Universität Basel Präsident der Fachhochschule Nordwestschweiz. (wsb)


Für reformierte Bischöfe: Gottfried Locher widerspricht

Im Interview von alt Regierungsrat Peter Schmid kommen zwei wichtige Themen zur Sprache: die Frage nach dem Bischofsamt und die Behauptung, in der reformierten Kirche mache sich Klerikalismus breit.

Peter Schmid kennt sich in der eidgenössischen Polit- und Kulturlandschaft bestens aus; seine Exekutiv-Erfahrung tut dem SEK sichtlich gut.

Dennoch gehören die Fragen rund um das Bischofsamt in einen grösseren Kontext – geographisch und konfessionell. Gerade wer mit Schmid nach dem «Kern des Protestantischseins in der Schweiz» fragt, der tut gut daran, nicht einfach den helvetischen Status quo zum Massstab zu nehmen. «Antihektisch» betrachtet entpuppt sich das Plädoyer für Bischöfinnen nämlich so ziemlich als das Gegenteil von Klerikalismus: Es ist vielmehr die noch nicht ganz vergangene Hoffnung auf Persönlichkeiten mit Charisma, denen man endlich auch ein Amt zugesteht, das sie vom Funktionärstum unterscheidet. Nur so, mit einem Titel und einer Aufgabe, die es nirgends als in der Kirche gibt, können sie die christliche Botschaft glaubwürdig vorleben und die Kirche in der Öffentlichkeit verständlich repräsentieren. Präsidenten und CEOs sind nun einmal etwas anderes als Bischöfinnen und Bischöfe, und die Öffentlichkeit spürt den Unterschied sehr wohl.

Wer also mit Peter Schmid zu Recht mehr Kohärenz von GemeindepfarrerIn und Kirchenleitung fordert, dem könnte auch an mehr persönlicher Menschenführung und mehr personaler Verantwortung gelegen sein.

Die ganze Welt kennt das Bischofsamt, junge und alte Kirchen haben es – bestimmt nicht nur die katholische. Dafür gibt es gute Gründe, theologische und andere. Niemand behauptet, jedes Bischofsamt müsse so aussehen wie ein römisches. (Ich habe deshalb Thesen für eine typisch reformierte Form aufgestellt.) Niemand behauptet, wir müssten uns à tout prix anpassen und verändern. Dass aber die kleine Schweizer Kirchenszene, und davon erst noch die am stärksten schrumpfende reformierte ihr Heil im beharrlichen Verzicht auf ein Amt suchen soll, welches unzähligen Kirchen gute Dienste leistet, das ist eine rückwärtsgewandte und darum keine reformierte Position.

Ihr gilt es zu widersprechen. Wer solchen Widerspruch einfach als wenig reflektierten Hang zum Klerikalismus diagnostiziert, der macht es sich sehr leicht. Die Bischofsdiskussion ist kein Hierarchie verliebtes Strukturgeplänkel, sondern die Sehnsucht nach Menschen mit aussergewöhnlicher Ausstrahlung. Die Bischofsdiskussion ist zudem eine Schlüsselfrage der Ökumene. Wenn wir wirklich so ökumenisch sind, wie wir uns gerne geben, dann sollten wir ihr nicht länger ausweichen. Sie wird uns ohnehin wieder einholen.

Pfr. Gottfried Locher, Vize-Präsident des Reformierten Weltbundes

Lebenslauf von G. Locher

Interviews von G. Locher bei Livenet

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