Theologie an der Universität

Daseinsberechtigung der Theologie wurde im Artikel der NZZ vom 08.10.12 in Frage gestellt. Hier die Stellungnahme der Dekane:

Theologie im Diskurs
Die Theologie, wie sie heute betrieben wird, hat an der Universität ihren Platz. Von Martin Wallraff
Der Artikel «Theologie auf Rollensuche» von Urs Hafner (NZZ 8. 10. 12) spricht ein wichtiges und aktuelles Thema an. In der Tat ist die Rolle der Theologie in der Gesellschaft und an der Universität in jeder Generation neu auszuhandeln; sie ergibt sich nicht einfach aus der Wissenschafts- und Universitätsgeschichte - obwohl man die aktive Rolle nicht vergessen darf, die die Theologie bei der Ausbildung des modernen Wissenschaftsbetriebes gespielt hat. Leider unterlaufen dem Verfasser aber diverse Ungenauigkeiten und stark tendenziöse Darstellungen, die es verdienen, klargestellt zu werden.
Schon eingangs zeigt sich, dass der Verfasser Theologie als reine Traditionspflege (miss)versteht. Dass sich die Theologie auch mit Erscheinungen der religiösen Kulturen neben dem kirchlichen Christentum, mit Säkularismus und Atheismus auseinandersetzt, dass sie auch einen kritischen Umgang mit der christlichen Tradition pflegt und im engen Verbund mit Nachbarwissenschaften arbeitet, ist ihm entgangen.
Wissenschaft und Werte
Zu Beginn des Artikels wird sodann das Ideal «wertfreier» Wissenschaft vertreten. Das ist in dieser Form heutzutage kaum mehr konsensfähig. Wer will etwa eine wertfreie medizinische Fakultät? Gerade angesichts der enormen Entwicklung moderner Medizintechniken hat die Gesellschaft ein Interesse, ja ein Anrecht, zu erfahren, welchen Werten sich die Medizin verpflichtet sieht und wie sie sie in ihren Vollzügen umsetzt. Dass Ähnliches für Ökonomie, Jurisprudenz und viele andere Wissensgebiete gilt, liegt auf der Hand. Das Ziel wissenschaftlichen Erkennens ist nicht etwa, Werte zu eliminieren, sondern sie zu begründen, zu reflektieren und einem öffentlichen Diskurs zu stellen. Daran hat die Theologie einen wesentlichen Anteil - und zwar auch und gerade in einer Situation, in der nicht mehr die eine, grosse (Volks-)Kirche autoritativ zu den Menschen spricht. Wertfreie Wissenschaft hingegen ist wertlos. Oder mit François Rabelais: «Science sans conscience n'est que ruine de l'âme.»
Nicht zutreffend ist für die Schweiz die Behauptung, dass die verschiedenen Konfessionen «je eigene Fakultäten besitzen». Hierzulande stehen die theologischen Fakultäten durch Tradition und Herkommen oftmals einer bestimmten kirchlichen Gemeinschaft besonders nahe, und sie brauchen den Bezug auf einen solchen «Resonanzboden» auch weiterhin, um nicht gänzlich im luftleeren Raum zu agieren und zu forschen. Das Verhältnis zu den Kirchen, wie es in unserem Kulturraum gewachsen ist, ist aber zugleich ein im besten Sinn des Wortes «kritisches». Wissenschaftliche Theologie tritt als Ergänzung und Korrektiv religiöser Praxis auf. Weder die Öffentlichkeit noch die Glaubensgemeinschaften können ein Interesse daran haben, diese kritische Reflexion in die ökologischen Nischen privater Institute abzudrängen. Der Kirchenhistoriker Markus Ries wird mit dem Argument zitiert, man habe im 19. Jahrhundert den theologischen Diskurs öffentlich halten wollen, um die Bürger vor Obskurantismus und Aberglauben zu schützen. Im 21. Jahrhundert sind die Gefahren von Fundamentalismus und Opposition gegen die bestehende Gesellschaftsordnung nicht minder gross.
Blick auf die religiöse Pluralisierung
Zudem ist es schlicht nicht wahr, dass die Pluralisierung der religiösen Landschaft nur ausserhalb, nicht innerhalb der besagten Fakultäten wahrgenommen wurde. Die Reflexion auf den religiösen Pluralismus ist wesentlich in diesen Fakultäten vorangetrieben worden, und die Konsequenzen in ihren Strukturen sind überall greifbar. Jüdische Studien und jüdische Religionswissenschaft gehören vielfach zum Standard; Debatten über islamische Theologie stehen noch ganz am Anfang, aber sie werden aktiv geführt, und zwar auch im Raum der theologischen Fakultäten. Die Schweiz unterscheidet sich von ihren drei grössten Nachbarländern wesentlich, insofern sie weder den Weg streng konfessionsgebundener Fakultäten geht (Deutschland) noch den Weg des französischen «laïcisme», noch den der Ausgliederung in kirchliche (päpstliche) Hochschulen (Italien). Die besondere Situation der Schweiz bietet besondere Chancen zu einer zeitgemässen Rollensuche der Theologie in der Universität und der Öffentlichkeit.
Auch die Beschreibung des Verhältnisses von Religionswissenschaft und Theologie ist zumindest irreführend. Kaum ein Religionswissenschafter würde das eigene Fach heutzutage als eine (rein) empirische Wissenschaft bezeichnen. Auch der Gegensatz von «Kulturwissenschaft» und «bekenntnisgebunden» führt nicht weiter. Man tut der Religionswissenschaft unrecht, wenn man sie rein negativ definiert, also mit der maximal möglichen Distanz zum religiösen Primärphänomen. Ebenso wenig wie der ein guter Musikwissenschafter ist, der nie in seinem Leben die Taste eines Klaviers berührt hat, ist nicht der ein guter Religionswissenschafter, der seine Wissenschaft ausschliesslich aus der Distanz zu seinem Gegenstand begründet. Das Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft hat eine differenziertere Darstellung verdient, als sie in dem Artikel gegeben wird.
Martin Wallraff ist Dekan der theologischen Fakultät der Universität Basel. Mitunterzeichner seiner Stellungnahme sind die Dekane der theologischen Fakultäten der Universitäten Bern, Freiburg, Genf, Lausanne, Luzern und Zürich.

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