Cervelats - die Schweiz hat noch ein Problem

Neulich habe ich deutschen Freunden von "unserem" Problem in der Schweiz erzählt: Die Cervelats sind vom Aussterben bedroht. Irgendwie konnten meine deutschen Freunde die Ernsthaftigkeit und Tragweite dieses nationalen Disaster nicht verstehen...Hier einige Links zum Thema von swissinfo: Treffend schreibt der Spiegel schon vor einem Jahr am 16. Januar 2008:

Die Cervelat-Wurst ist ein Schweizer Symbol. Nun droht ihr das Aus - womöglich gar noch vor der Fußball-EM. Schuld trägt die EU: Sie hat die Einfuhr der benötigten brasilianischen Rinderdärme verboten. Das Land ist in Aufruhr.

Hamburg - Sie sieht ziemlich unscheinbar aus, diese Wurst. Sie ist kurz und dick und goldbraun, und wenn man ihre Enden einschneidet, platzt sie über dem Feuer sehr schön auf.

AP

Cervelats auf dem Grill: "Darm-Alarm" in der Schweiz

Die Cervelat, Serwela ausgesprochen, ist mindestens genauso schweizerisch wie Raclette und Fondue, auch wenn sich Außenstehenden ihr Charme nicht auf den ersten Blick erschließen mag. Doch der Schweizer wächst damit auf, er "grilliert", er "brätelt" seine Cervelat von Kindesbeinen an, mit Freunden im Wald, mit Papa im Garten und immer wieder am Nationalfeiertag, am 1. August. 160 Millionen Stück produzieren die Schweizer Fleischer jedes Jahr, das sind 21 Cervelat pro Kopf. Es war der Welt bisher nicht bekannt, aber es ist so: Auch die Schweizer sind Wurstesser. Cervelat-Esser.

Und nun also das! Nun droht dieser identitätsstiftenden Wurst das Aus. Schuld ist die Europäische Union, in der die Schweiz noch nicht einmal Mitglied ist. Die EU hat die Einfuhr des brasilianischen Rinderdarms verboten, ohne den es keine Cervelat gibt. In Brasilien ist zwar noch kein Fall von Rinderwahnsinn bekannt geworden, trotzdem gilt es den EU-Experten nicht mehr als BSE-frei. Und weil die Schweiz - wie so vieles - auch das Lebensmittelrecht mit der EU harmonisiert hat, ist sie daran gebunden, und muss nun tatenlos zusehen, wie die brasilianischen Rinderzüchter ihre Därme vernichten.

Seit dem 1. April 2006 ist das schon so, und langsam gehen den Schweizern die Därme aus. Keiner weiß genau, wann es soweit sein wird. Spätestens bis Ende des Jahres, vielleicht sogar schon zur Fußball-EM - und eine EM ohne Cervelat, das wäre eine Katastrophe, die selbst ein Sieg der Schweizer Fußball-Nati über Deutschland nicht aufwiegen könnte.

Die Wurst des Volkes

"Darm-Alarm" herrsche im Land, das schrieb die Zeitung "20 Minuten". Die Cervelat werde "nie mehr sein, was sie einmal war" jammerte ein Kommentator und kritisierte, dass "sich die Schweiz ausgerechnet im Fall der Nationalwurst den Brüsseler Technokraten ausgeliefert" habe.

"Ich kann mir die Schweiz ohne Original-Cervelat eigentlich gar nicht vorstellen", sagt der Parlamentsabgeordnete Rolf Büttiker der "Neuen Zürcher Zeitung". Und fügt hinzu: "Auch weil sie eine sozialpolitische Dimension hat, setze ich mich für diese Wurst des Volkes ein." Büttiker ist Präsident des Schweizer Fleisch-Fachverbandes, und er appelliert jetzt an die Politik.

Er hat im Parlament bereits einen Aufruf an die Schweizer Regierung eingereicht: Sie müsse Druck auf Brüssel ausüben, um das Importverbot mindestens teilweise aufzuheben oder eine Sonderregelung für die Schweiz zu erreichen. Büttiker sagt: "Die Cervelat ist die Schweizer Volkswurst schlechthin. Die Bevölkerung will diese Wurst weiterhin so, wie sie sie kennt. In Form, Geschmack und zum Grillieren oder Rohessen."

Einen befriedigenden Ersatz für den brasilianischen Rinderdarm haben die Fleischer bisher nicht gefunden. "Alle getesteten Lösungen haben Nachteile", sagt Büttiker. Sei es im Geschmack, der Farbe, der Krümmung, der Grillfestigkeit, der Schälbarkeit oder der Größe - die Schweizer Nationalwurst hat ihre klaren Anforderungen. "Schweizer Rinderdärme beispielsweise ergeben ein zu großes Kaliber", sagt Büttiker. Die ideale Cervelat sei im Durchmesser zwischen 32 und 34 Millimeter dick. Der argentinische Darm wiederum sei zu fetthaltig, was sich auf den Geschmack nachteilig auswirke. Andere Därme ließen sich "gar nicht schälen". Und Kunst-Därme wie beispielsweise aus Collagen schmeckten nicht.

"So polyvalent wie die Schweizer Luftwaffe"

Rindfleisch, Schweinefleisch, Wurstspeck, Schwarte, Eis-Wasser, Salz, Frischzwiebeln und Gewürze - das steckt drin, in der Wurst, aber ohne brasilianischen Darm vom Zebu-Rind geht gar nichts. Büttikers Fleischverband-Kollege Balz Horber drückt sich so aus: Nur dieser Darm sei "so polyvalent wie die Schweizer Luftwaffe".

Diese Erkenntnis bestätigte im Kern auch der Koch Jacky Donatz (15 Gault-Millaut-Punkte), der für die Boulevardzeitung "Blick" mit Behelfsdärmen hergestellte Cervelats testete. Sein Urteil fiel vernichtend aus ("Schmeckt zu sehr nach Bratwurst", "zu fett und zu zäh!"). Er forderte zum Widerstand gegen die EU auf: "Das sollten wir uns nicht bieten lassen. Wir müssen für unsere Wurst kämpfen!"

Wer hätte auch gedacht, dass die schweizerischste aller Würste derart vom Ausland abhängig ist? Es ist eine bittere Erkenntnis, dass auch die Cervelat irgendwie mit der Globalisierung zusammenhängt. Dabei wurde sie doch schon 1891 angeblich zum ersten Mal erwähnt, im Zusammenhang mit dem Schweizer Nationalfeiertag am 1. August - das hebt sie fast auf eine Ebene mit dem Rütli-Schwur. Selbst in den helvetischen Sprachgebrauch ist sie eingegangen: "Cervelatpromis" nennt man in der Schweiz abfällig die B- und C-Prominenten. Warum, ist ungeklärt.

Wie geht es nun weiter? Die Politik versucht ihr Möglichstes, vielleicht kann sie ja den grauen Bürokraten in Brüssel die Wichtigkeit ihres Anliegens begreiflich machen. Die Experten suchen weiterhin nach Alternativen, Häute aus Uruguay, Seegras, chinesische Schweine, vielleicht klappt's ja doch noch mit dem Ersatz.

Nur eine beruhigende Botschaft hat Rolf Büttiker, der Kämpfer für die Wurst des Volkes, zum Schluss. Er sagt: "Wenn wir alle Zebu-Därme zusammenkratzen, reicht es gerade noch für die Europameisterschaft." Immerhin.

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