Noah 2.0

Arche Noah Heute

Nach vielen Jahren sah Gott wieder einmal auf die Erde. Die Menschen waren verdorben und gewalttätig und er beschloss sie zu vertilgen, genauso wie er es vor langer, langer Zeit schon einmal getan hatte.

Er sprach zu Noah: "Noah, bau mir noch einmal eine Arche aus Zedernholz, so wie damals; 300 Ellen lang, 50 Ellen breit und 30 Ellen hoch. Ich will eine zweite Sintflut über die 
Erde bringen. Die Menschen haben nichts dazu gelernt. Du aber gehe mit deiner Frau, deinen Söhnen, deren Frauen in die Arche und nimm von allen Tieren zwei mit, je ein Männchen und ein Weibchen. In sechs Monaten werde ich den grossen Regen schicken."

Noah stöhnte auf; musste das denn schon wieder sein? Wieder 40 Tage Regen und 150 unbequeme Tage auf dem Wasser mit all den lästigen Tieren an Bord und ohne Fernseher! Aber Noah war gehorsam und versprach, alles genau zu tun, wie Gott ihm aufgetragen hatte.

Nach sechs Monaten zogen dunkle Wolken auf und es begann zu Regnen. Noah sass in seinem Vorgarten und weinte und, da war auch keine Arche.

"Noah", rief der Herr, "Noah, wo ist die Arche?"

Noah blickte zum Himmel und sprach: " Herr, sei mir nicht böse, sei mir gnädig" und verstummte. Gott fragte abermals:" Wo ist die Arche, Noah?" Da trocknete Noah seine Tränen und sprach:

"Herr, was hast du mir angetan? Als erstes beantragte ich beim Landkreis eine Baugenehmigung. Die dachten zuerst, ich wollte einen extravaganten Schafstall bauen. Die kamen mit der ausgefallenen Bauform nicht zurecht, denn an einen Schiffbau wollten sie nicht glauben. Auch deine Massangaben stifteten Verwirrung, weil niemand mehr weiss, wie lang eine Elle ist. Also musste mein Architekt einen neuen Plan entwerfen. Die Baugenehmigung wurde zunächst abgelehnt, weil eine Werft in einem Wohngebiet planungsrechtlich unzulässig ist. Nachdem ich dann endlich ein passendes Gewerbegrundstück gefunden hatte, gab es nur noch Probleme.

Im Moment geht es z.B. um die Frage, ob die Arche feuerhemmende Türen, eine Sprinkleranlage und einen Löschwassertank benötige. Auf einen Hinweis, ich hätte im Ernstfall rundherum genug Löschwasser, glaubten die Beamten, ich wollte mich über sie lustig machen. Als ich ihnen erklärte, das Wasser käme noch in grossen Mengen, und zwar viel mehr als ich zum Löschen benötige, brachte mir das den Besuch eines Arztes vom Landeskrankenhaus ein. Er wollte von mir wissen, was ein Schiffbau auf dem Trockenen, fernab von jedem Gewässer, solle.

Die Bezirksregierung teilte mir daraufhin telefonisch mit, ich könnte ja gern ein Schiff bauen, müsste aber selber zusehen, wie es zum nächsten grösseren Fluss käme. Mit dem Bau eines Sperrwerks könnte ich nicht rechnen, nachdem der Ministerpräsident zurückgetreten sei. Dann rief mich noch ein anderer Beamter dieser Behörde an, der mir erklärte, sie seien inzwischen ein kundenorientiertes Dienstleistungsunternehmen und darum wolle er mich darauf hinweisen, dass ich bei der EU in Brüssel eine Werftbeihilfe beantragen könne, allerdings müsste der Antrag achtfach in den drei Amtssprachen eingereicht werden.

Inzwischen ist beim Verwaltungsgericht ein vorläufiges Rechtschutzverfahren meines Nachbarn anhängig, der einen Grosshandel für Tierfutter betreibt. Der hält das Vorhaben für einen grossen Werbegag, mein Schiffbau sei nur darauf angelegt, ihm Kunden abspenstig zu machen. Ich habe ihm schon zweimal erklärt, dass ich gar nichts verkaufen wolle. Er hört mir gar nicht zu und das Verwaltungsgericht hat offenbar auch viel Zeit.

Die Suche nach dem Zedernholz habe ich eingestellt. Libanesische Zedern dürfen nicht mehr eingeführt werden. Als ich deshalb hier im Wald Bauholz beschaffen wollte, wurde mir das Fällen von Bäumen unter dem Hinweis auf das Landeswaldgesetz verweigert. Dies schädige den Naturhaushalt und das Klima. Ausserdem sollte ich erst eine Ersatzaufforstung nachweisen. Mein Einwand, in Kürze werde es gar keine Natur mehr geben und das Pflanzen von Bäumen an anderer Stelle sei deshalb völlig sinnlos, brachte mir den zweiten Besuch des Arztes vom Landeskrankenhaus ein.

Die angeheuerten Zimmerleute versprachen mir schliesslich, für das notwendige Holz selbst zu sorgen. Sie wählten jedoch erst einmal einen Betriebsrat. Der wollte mit mir zunächst einen Tarifvertrag für den Holzschiffbau auf dem flachen Lande ohne Wasserkontakt aushandeln. Weil wir uns aber nicht einig wurden, kam es zu einer Urabstimmung und zum Streik. Herr, weisst du eigentlich, was Handwerker heute verlangen? Wie soll ich das alles denn bezahlen?

Weil die Zeit drängte, fing ich schon mal an, Tiere einzusammeln. Am Anfang ging das noch ganz gut, vor allem die beiden Ameisen sind noch wohlauf. Aber seit ich zwei Tiger und zwei Schafe von der Notwendigkeit ihres gemeinsamen und friedlichen Aufenthaltes bei mir überzeugt hatte, meldete sich der örtliche Tierschutzverein und rügte die artwidrige Haltung. Und mein Nachbar klagte auch schon wieder, weil er die Eröffnung eines Zoos für Geschäftsschädigend hält. Herr, ist dir eigentlich klar, dass ich auch nach der Europäischen Tierschutztransportverordnung eine Genehmigung brauche? Ich bin schon auf Seite 22 des Formulars und grüble im Moment darüber nach, was ich als Transportziel angeben soll? Und wusstest du, dass z.B. Geweih tragende Tiere während der Brunstzeit überhaupt nicht transportiert werden dürfen? Und die Hirsche sind ständig am schnackseln, wie der Bayer sagen würde. Auch der Elch und der Ochse denken an nichts anderes, besonders die südlicheren! Herr, wusstest du das?

Übrigens, wo hast du eigentlich die Callipepia caliconica - du weisst schon, die Schopfwachteln und den Lethamus Discolor versteckt? Den Schwalbensittich habe ich bisher auch noch nicht finden können! Dir ist natürlich auch bewusst, dass ich die 43 Vorschriften der Binnenmarkt- Tierschutzverordnung bei dem Transport der Kaninchen strikt beachten muss. Meine Rechtsanwälte prüfen gerade, ob diese Vorschrift auch für Hasen gelten. Übrigens, wenn du es einrichten könntest, die Arche als fremdflaggiges Schiff zu deklarieren, das sich nur im Bereich des deutschen Küstenmeeres aufhält, bekäme ich die Genehmigung viel einfacher. Du könntest dich auch mal bemühen, Herr!

Ein Umweltschützer von Greenpeace erklärte mir, dass ich Gülle, Jauche, Extremente und Stallmist nicht einfach ins Wasser werfen darf. Wie stellst du dir das eigentlich vor? Damals ging es doch auch!

Vor zwei Wochen hat sich das Oberkommando der Marine bei mir gemeldet und von mir eine Karte der künftig überfluteten Gebiete erbeten. Ich habe ihnen einen blau angemalten Globus geschickt.

Vor zehn Tagen erschien die Steuerfahndung; die haben den Verdacht, ich bereite eine Steuerflucht vor. Ich komme so nicht weiter Herr, ich bin verzweifelt! Soll ich nicht doch lieber meinen Rechtsanwalt mit auf die Arche nehmen?"

Noah fing wieder fürchterlich zu weinen an.

Da hörte der Regen auf, der Himmel klarte sich auf und die Sonne schien wieder. Und es zeigte sich ein wunderschöner Regenbogen.

Noah blickte auf und lächelte. "Herr, du wirst die Erde doch nicht zerstören?"

Da sprach der Herr: "Darum sorge ich mich nicht mehr, das schaffen eure Verwaltung und die Behörden alleine, ohne meine Hilfe."

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