Aus dem Tagesanzeiger

Hinter Glitter

Von Carmen Roshard. Aktualisiert um 10:52 
Vierzig Jahre lebte sie äusserlich als Mann. Als Künstlerin macht Stella Brunner alias Stella Glitter heute Musik und malt Bilder, die an der Ausstellung Kunstszene Zürich zu sehen sind.
Musikerin und Malerin: Stella Glitter vor ihren Gemälden, die sie «prekäre Bilder» nennt.
Musikerin und Malerin: Stella Glitter vor ihren Gemälden, die sie «prekäre Bilder» nennt.
Bild: Sabina Bobst

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Stella hat grosse Hände. Männerhände. Aus ihrem früheren Leben mitgenommen. Aber das ist eine ganze Weile her. Heute ist sie Malerin, Musikerin, Performerin. Sie ist die Künstlerin Stella Glitter, mit bürgerlichem Namen Stella Brunner. Ab nächsten Dienstag stellt sie zum dritten Mal an der unjurierten Ausstellung Kunstszene Zürich aus. Es sind Bilder von Umweltkatastrophen in Öl und Acryl. Bilder des Lebens. Gemalt von einer Frau, die den Frieden gefunden hat, glücklich ist.
Es gab Zeiten, da war sie es nicht. Da musste sie kämpfen, damit sich die Frau in ihr entfalten konnte. Da musste sie raus aus dem Männerkörper, in den sie aus Versehen geraten war und in dem sie sich nie wohl fühlte. Weg aus dem Aargauischen Suhrental, wo sie als ältester Sohn des Dorfpfarrers aufwuchs. Wo sie Fussball spielte, weil Jungen eben Fussball spielen. Wo sie alles machte, um männlich zu wirken. Auch, weil der Anpassungsdruck gross war und Stella dazugehören wollte zu dieser Gesellschaft von genormten Männern und Frauen. Obwohl sie schon als Kind ahnte, dass aus ihr nie ein richtiger Mann werden würde. Weil sie anders empfand, dafür aber keine Worte fand.
Punk, Theater, Tanz
Nach dem Gymnasium zog Stella nach Zürich, in die grosse Stadt. Wollte Tierarzt werden, zu Ende bringen, was sie angefangen hatte. Wollte sich um Pferde kümmern, mit denen sie als Jugendliche ihre Freizeit verbracht hatte, und die ihr noch immer viel bedeuten. Nach einem Jahr schmiss sie das Studium, jobbte als Taxifahrer und Feinmechaniker.
In den 70er-Jahren begann ihr Leben in eine andere Richtung zu driften. Sie merkte, dass sie mit ihrem Problem nicht alleine war, dass es einen Namen dafür gab – Transsexualität. Sie lernte ihre grosse Liebe Elisabeth kennen, heiratete, entschied sich, Künstlerin zu werden, und spielte Gitarre. Ratz hiess die erste Band, man spielte Punk – Absturtz die zweite. Später tobte sie sich beim Rock ’n’ Roll aus, machte Tanz- und Theaterperformances. Alles ausprobieren, mitmischen, allem auf den Grund gehen, aus sich herausstürmen.
1989 entschied sich Stella zu einer geschlechtsanpassenden Operation und wurde offiziell zur Frau. War endlich, was sie schon immer sein wollte, auch auf dem Papier. Ihren Entscheid hat sie nie bereut. Was an ihr männlich geblieben ist, kann sie mittlerweile akzeptieren: «Meine Identität ist ausserhalb der Zuordnungen weiblich/männlich.»
Prekäre Bilder
Genau so sind auch ihre Bilder. Ausserhalb von jedem Raster. Sie zeigen eindrückliche Abbildungen von Rockgrössen, Comics auf Pizzaschachteln, satirische Panini-Fussballbilder. In ihrer neusten Ausstellung sind es Bilder von Umweltkatastrophen, Tieren, Depro-Silhouetten aus der Hardau. «Prekäre Bilder» nennt sie die Gemälde, in denen sich ihr Umfeld spiegelt. Stella lebt am Existenzminimum. Von ihrer Rente bezahlt sie die kleine Atelierwohnung in einem Wohnturm in der Hardau. «Anonymer geh es nicht», sagt sie über das Leben in den Wohntürmen. Folien rauchende Kids, Kotze, daneben ein Altersheim. Das ganze Spektrum von Jung bis Alt, alle kämpfen auf ihre Art. «Eine existenzielle Strapaze.» In der Lobby ihres Wohnturms zeigte die Künstlerin im Juni ihre «Prekären Bilder an einem prekären Ort». Drei Tage lang, mit Grill und Musik. Die Bilder entstanden aus Fotovorlagen. Während zwei bis drei Jahren hat Stella jene Bilder aus dem «Tages-Anzeiger» ausgeschnitten, die ihr Eindruck machten.
Die Hofmalerin
Die Malerei hat für Stella auch einen sozialen Aspekt, weil sie thematisch und eher dokumentarisch malt. Der schnellen digitalen Welt gegenüber ist sie eher skeptisch eingestellt. Ein Bild brauche Zeit, entstehe langsam und überlebe deshalb auch länger. Sie fordert sich selbst, vielleicht aus deshalb, weil sie keine Ausbildung hat. «Viele Ausbildungen im Kunstbereich sind eine Verbildung.» Die ganze Welt wolle Abschlüsse und Diplome, dabei gehe es doch in der Kunst um Kreativität – um das, was in einem drinnen steckt.
Die Musikerin und Malerin Glitter gibt Stella die Möglichkeit, die eigene Geschichte mit der Rockgeschichte zu verweben. In ihrer Ausstellung «Rock ’n’ Roll Suicide» (2009) malte sie Porträts nach Fotovorlagen von Rockgrössen, die für sie von Bedeutung sind. David Bowie, Patti Smith, Iggy Pop. Von Jimi Hendrix zum Beispiel hat sie eine traurige Vorlage ausgesucht, weil er ein trauriges Leben hatte. Und so ist ein Bild entstanden, das auch den Betrachter traurig stimmt.
Stellas Bilder sind mehr als nur abgemalte Fotografien, sie drücken Gefühle und Befindlichkeiten aus, die man auf der Vorlage nicht entdeckt. Es ist diese Essenz, die Stella aus ihren Vorlagen destilliert, die beeindruckt. «Ich male das Bild, wie es mir einfährt.» Stella sieht sich als Hofmalerin, und ihr Hof sei die ganze Welt. Sie malt Dinge, die ihr wichtig erscheinen, Zeitdokumente. Der Kunstanspruch sei dabei nicht wesentlich. Wesentlich sei, dass ihre Bilder berührten und nicht, dass man sagen könne: Ich habe Kunst gekauft.
Dank der Musik aus den 70er-Jahren konnte Stella aus ihrem Korsett schlüpfen, Frau werden. Diese Musik will die 62-Jährige auch Jüngeren näher bringen. Wenn Stella wolle, sagt man in der Szene, «dann schafft sie es, an einem Abend alle Generationen der Zürcher Musikszene auf eine Bühne zu stellen.»
Obwohl das Leben Stella hohe Hürden in den Weg gestellt hat, hat sie nie aufgegeben, ist immer vorwärtsgegangen, fordernd, aber immer demütig. «Ich habe immer die richtigen Menschen getroffen, die mich weitergebracht haben – ich hatte Glück im Leben.»
Kunstszene Zürich, Freilager Zürich-Albisrieden. 20. Dezember bis 8. Januar. Vernissage nächsten Dienstag 18 Uhr.
(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
Erstellt: 18.12.2011, 10:50 Uhr

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